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  • gilleschatelain

Klimaschutz bedarf gezielter Verhaltensänderungen


Erschienen am 2.7.21 in der Luzernerzeitung

https://www.luzernerzeitung.ch/meinung/gastkommentar-klimaschutz-verhalten-freiwillig-aendern-ohne-verbote-oder-finanzielle-anreize-ld.2159288?mktcid=smsh&mktcval=WhatsApp



Die Abstimmung zum CO2-Gesetz weckte Emotionen. Im Rückblick scheinen polarisierende Slogans wie “Autofahren nur für Reiche“, erfolgreich gegen finanzielle Anreize zum Klimaschutz mobilisiert zu haben. Das Resultat könnte entsprechend auch als Absage, der in der Abstimmungsbroschüre vorgestellten «Kombination von finanziellen Anreizen, Investitionen und neuen Technologien», interpretiert werden. Was nun?


Ein Blick in die Prinzipien und Methodik der angewandten Verhaltenswissenschaften bzw. Behavioral Sciences könnte alternative Massnahmen aufzeigen. Erkenntnisse aus der Sozialpsychologie, Verhaltensökonomie und Soziologie belegen schon lange, dass Verhaltensänderungen auch auf freiwilliger Basis und ohne gesetzliche Verbote oder finanzielle Vor- und Nachteile erfolgreich initiiert werden können. Sie fussen auf der Einsicht, dass wir einen Grossteil unserer Entscheidungen und Handlungen “kontextabhängig” ausführen. Unser Verhalten wird z.B. von Voreinstellungen, Produktanordnungen oder sozialen Normen gelenkt. Während die Privatwirtschaft dieses Wissen schon seit langem erfolgreich anwendet, findet es in der Schweizer Politik noch weniger Beachtung. In Anbetracht der Dringlichkeit, dem Klimawandel wirksam zu begegnen sind umfassendere Umsetzungen in der Schweiz wünschenswert. Dies gelingt aus unserer Sicht mit einem vertieften Verständnis und einer transparenten Diskussion von fünf zentralen Faktoren.


· Effektivität nachweisen. Sauber ausgeführte verhaltenswissenschaftliche Arbeit beinhaltet die transparente Analyse und Validierung der Wirksamkeit und Verhältnismässigkeit von Massnahmen. Auf diese Weise wird u.a. sichergestellt, dass Steuergelder langfristig effektiv eingesetzt werden.

· Transparenz gewährleisten. Die Wissenschaft nimmt ihre ethische, moralische und gesellschaftliche Verantwortung wahr. Studien zeigen, dass verhaltenswissenschaftliche Massnahmen auch dann wirken, wenn diese transparent kommuniziert werden. Wissenschaft und Politik verfolgen hier das gleiche Interesse.

· Qualität sicherstellen. Verhaltenswissenschaftliche Ansätze sind trotz grossem Potenzial kein Allheilmittel. Aktuell drängen viele Firmen ohne entsprechende Qualifikation und ethische Standards in den Markt. Eine Orientierung fällt schwer. Mit GAABS, der Global Association of Applied Behavioural Scientists, hat sich letztes Jahr erstmals eine unabhängige Organisation dieser Herausforderung angenommen und eine Qualitätssicherung durch die Zertifizierung von Anbieterinnen und Anbietern etabliert.

· Leuchtturmprojekte realisieren. Sichtbare Erfolge mit Bezug zu einem allgemein erwünschten primären Gut sind gefragt, um die Bevölkerung von den Vorteilen zu überzeugen. Themen wie Arbeitslosigkeit, Gesundheit, und Umweltschutz bieten eine ideale Grundlage für einfach zu legitimierende Projekte.

· Normalisierung erreichen. Verhaltenswissenschaftliche Projekte haben aktuell noch einen exotischen Charakter in der Schweizer Politik. Eine Integration in den üblichen politischen Problemlösungszyklus und den bestehenden Massnahmenmix, sollte das übergeordnete Ziel sein. Dieser Aufgabe hat sich der Schweizer Verein BIPS – Behavioral Insights for better Politics and Societies angenommen.


Zusammenfassend darf die Absage an das CO2-Gesetz keine Absage an klimafreundliches Verhalten sein. Die Ablehnung der Vorlage muss ernst genommen werden. Ihr Ziel sollte mit neuen wirksamen Ideen und Ansätzen weiterverfolgt werden. Die Verhaltenswissenschaften haben das Potenzial, hier eine bereichernde Rolle einzunehmen. Qualifizierte Expertise, transparente Kommunikation und integrierte Ansätze sind dabei Voraussetzung.

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